Am 29. April 1954 hielt der Rektor der Universität Zürich, Prof. Dr. Zaccharia Giacometti, die folgende Festrede, die ein intellektueller Genuss ist.
Der Referent ging unter anderem der Frage nach, welchen Voraussetzungen es bedarf, damit eine Demokratie, in der die Menschenrechte optimal geschützt sind, funktionieren kann. Dazu führte er wörtlich aus:
„Ein solches Wächteramt wird nun meines Erachtens das Volk unter gewissen Voraussetzungen zweifellos auch versehen, nämlich dann, wenn es für die freiheitliche Demokratie vorbereitet, politisch reif ist. Ein Volk erscheint aber in dem Falle für die echte Demokratie reif, wenn es bestimmte Voraussetzungen erfüllt.
Erstens muss die Freiheitsidee im Individuum und im Volke lebendig und das rechtsstaatliche Naturrecht zwar nicht als Recht, aber als ethische Kraft wirksam sein; es müssen mit anderen Worten freiheitliche Wertvorstellungen herrschen, aber nicht als vom Augenblick geborene euphoristische Stimmungen oder opportunistische Eingebungen, sondern als tiefe politische Überzeugungen, die das Bewusstsein des Volkes dauernd beherrschen und von den treibenden Kräften des politischen Lebens getragen werden.
Zweitens muss das Volk eine freiheitliche Tradition besitzen. Seine freiheitlichen Überzeugungen müssen in einer solchen Tradition verwurzelt sein. Tradition ist aber, wie Max Huber gesagt hat, geschichtliches Bewusstsein, und freiheitliche Tradition infolgedessen freiheitliches historisches Bewusstsein. Ein solches geschichtliches Bewusstsein besitzt aber die Demokratie in dem Falle, dass eine freiheitliche Vergangenheit auf sie nachwirkt, dass also die vorausgegangene Generation der lebenden Generation einen Schatz an freiheitlichen politischen Vorstellungen, Anschauungen und Erfahrungen überliefert hat.
Drittens muss sich die lebende Generation diesen ererbten Schatz an freiheitlichen politischen Einsichten und an freiheitlichen politischen Erfahrungen ihrerseits aneignen, ja erkämpfen durch entsprechende politische Erziehung, Erprobung und Bewährung als Verfassungsgesetzgeber und einfacher Gesetzgeber einer echten Demokratie.“
Das ganze Referat finden sie hier: Festrede Giacometti – DIE DEMOKRATIE ALS HÜTERIN DER MENSCHENRECHTE
Wichtig sind 1. und 2., 3. kann nicht vorausgesetzt werden.
So oder so: Ohne ein sehr sensibles Bewusstsein und viel Empfindlichkeit für Freiheit gibt es keine Freiheit.
Danke für den Text!