In seiner live übertragenen Pressekonferenz aus dem Prinz-Carl-Palais stellte Söder, der Ministerpräsident, seine funktionale Macht zur Schau: Er betonte, er habe die Freien Wähler „einbestellt“. Es dürften keine „Restzweifel“ bleiben und es gebe keinen Platz für Antisemitismus in der bayerischen Staatsregierung. Das betont er, obschon der Historiker und Publizist Michael Wolffsohn sich schon zu Beginn der „Flugblattaffaire“ dagegen verwahrte, dass Juden für tagespolitische Zwecke mussbraucht werden und er betonte, an dem Flugblatt nichts „Antisemitisches“ zu finden.
Zugleich gibt Söder sich scheinbar moderierend. Bislang nur anonyme Quellen der Süddeutschen Zeitung würden nicht ausreichen für ein Misstrauensvotum gegen seinen Stellvertreter.
Eine Entlassung zum jetzigen Stand der Erkenntnisse, sagt Söder generös, sei „Übermaß“, zugleich aber sei das Belassen Aiwangers im Amt des Wirtschaftsministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten kein „Freispruch oder Freibrief“ – es darf jetzt „nix mehr dazukommen“. Der Schaden für Bayern sei hoch und der für die persönliche Glaubwürdigkeit auch.
Die Zusammenarbeit mit den Freien Wählern sei gut und solle fortgesetzt werden – „Koalitionen hängen nicht an einer einzelnen Person“, so der Franke Markus Söder, eine direkte Drohung gegen den Niederbayern Aiwanger.
https://www.br.de/nachrichten/ (Söder Aiwanger soll 25 Fragen schriftlich beantworten, 29.08.2023, 15:41 Uhr)
Dass sich Aiwanger nun zum zweiten Mal schriftlich äußern soll, zeigt die Taktik, die der größere Koalitionspartner hier fährt: nach Bekanntwerden der Verdachtsberichterstattung hatte sich der stellvertretende Ministerpräsident bereits schriftlich geäußert. Der Staatsminister in der Staatskanzlei Florian Herrmann, exekutives Sprachrohr und Adjutant von Söder, hielt diese erste Stellungnahme nicht für ausreichend.
https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/aiwanger-vorwuerfe-scholz-100.html
Deshalb sollte mündlich nachgebessert werden. Die mündliche Nachbesserung vom Dienstag war nun wiederum als nicht ausreichend befunden worden, so dass erneut schriftlich nachgebessert werden müsse und zwar, wie Söder sagte, „rasch und umfangreich“ nicht jedoch zeitnah und erschöpfend.
Mit dieser Taktik von Söder und der Einlassung auf diese fremdbestimmte Vorgehensweise hat sich Hubert Aiwanger von Söder nicht nur vorführen lassen, sondern ähnlich einem Tanzbären auf die heiße Platte stellen lassen. Nun kann Söder nicht nur die Temperatur und damit die Taktfrequenz der Tanzvorführung bestimmen und wahlweise entscheiden, ob ihm der aufgeführte Tanz gefällt oder der Bär „zum Abschuss freigegeben“ wird,
Auch die Zusicherung von Söder, er wolle die Koalition mit den Freien Wählern fortsetzen, ist das Papier nicht wert, auf dass die Journalisten es geschrieben haben. Streibl, Stoiber, Seehofer waren die Lehrmeister des aufstrebenden Söders, der schon im relativ jungen Alter von 40 sein erstes Ministeramt innehatte.
Seehofer wurde wegen der Anpassungsfähigkeit seiner politischen Positionen als „Drehhofer“ verspottet, Söder machte es ihm zuletzt in Sachen Kernkraft gleich.
Mögliche Widersacher Söders auf dem Weg zum Erfolg stolpern, entweder über Affären, wie die hoffnungsvolle Christine Haderthauer oder werden in honorable Ämter verschoben, wie Ilse Aigner, einst Konkurrenz des aufstrebenden Söder, jetzt Landtagspräsidentin.
Seine Seilschaften aus der Jugendorganisation der CSU, der „Jungen Union“ deren Vorsitzender Söder war und Vorsitzender der „Mutterpartei“ er ist, pflegt er noch heute, seine Gewährsleute werden später Staatssekretäre und selbst Minister.
Söder ist es egal, wer außer ihm auf der Strecke bleibt, Hauptsache er ist an der Spitze.
Aiwanger ist aus anderem Holz geschnitzt. Er geht mit seiner Vorstellung von den Menschen und der Erfahrung des rauhen und liebenswerten, ländlich geprägten Leben, mit nativer Intelligenz und klugem Verstand auf die Menschen zu.
Aiwanger hält seine Reden frei und ohne Manuskript, auch über eine Stunde oder mehr. Er ist in den Themen fest und kommt bei den Menschen gut an.
Die berühmte Rede von Aiwanger in Erding am 10.06.2023 wurde mit tosendem Applaus bedacht,
https://www.youtube.com/watch?v=NBQii1sq7AI
während Söder von der Menge hörbar ausgepfiffen wurde, so dass die Organisatorin Monika Gruber, Kabarettistin und Autorin, mahnen musste, dem Ministerpräsidenten mehr Respekt entgegenzubringen.
https://www.youtube.com/watch?v=O93_Phh_t9c
Während die Grünen Cem Özdemir, amtierender Bundeslandwirtschaftsminister und Katharina Schulze, selbsterklärte „Quotenfrau“ und Fraktionsvorsitzende im bayerischen Landtag in einem Festzelt im oberbayerischen Chieming lautstark ausgebuht werden und Polizeischutz beanspruchten,
https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2023/gruene-ausgebuht/
ist Aiwanger ein Politiker, der beim Stimmvolk ankommt, weil er Verständnis für die Probleme der Menschen signalisiert und die Sprache der arbeitenden Bevölkerung spricht. Er steht an der Seite der „normalen Bevölkerung“. Bei seinen Festzeltauftritten stehen die jubelnden Menschen auf Tischen und Bänken und skandieren „Hubsi, Hubsi, Hubsi!“
Söder war nach Erding „stinksauer“, wird berichtet.
Ob wegen des Jubels, der Aiwanger entgegenschlägt, Söder in ihm einen Konkurrenten sieht. Man erinnere die Bewunderung in weiten Teilen, als Aiwanger sich Markus Lanz entgegenstellte; Aiwanger wurde schon mit Strauß verglichen, dem Übervater Söders.
https://www.br.de/nachrichten/bayern/volksheld-oder-populist-aiwanger-rockt-die-bierzelte,TlIOgKH
Das muss Söder zu viel gewesen sein und er suchte nach einer Möglichkeit, den populären Vize an die Kandare zu nehmen.
Und es wäre kein Söder, wenn er nicht seinen eigenen Vorteil suchte.
Fällt die Beantwortung der „25 Fragen“ nicht „zufriedenstellend“ aus, dann kickt er Aiwanger aus der Regierung und damit nach außerhalb des politischen Spielfeldes, legt sich mit den Grünen oder der SPD ins Koalitionsbett und wird für den Bund ein in allen politischen Lagern vorzeigbarer Kanzlerkandidat.
Habeck und Scholz die schon vor Übereifer schäumen wie ihre bayerischen Statthalter, Ludwig Hartmann, Katharina Schulze und Florian von Brunn, wollen das letzte verbliebene Filetstück, das letzte bürgerlich regierte Bundesland in Deutschland in ihre Klauen bringen, den Freistaat Bayern.
Aiwanger kann nur punkten mit einer klugen Vorwärtsverteidigung. Er kann die gesamte mediale Hysterie zu seinen Gunsten drehen, wenn die Freien Wähler von sich aus einen Untersuchungsausschuss beantragen, aber nicht übermorgen, sondern heute! Auch wenn sich der Landtag bereits in der Übergangsphase zur Neuwahl am 08. Oktober befindet; Sondersitzungen sind weiterhin möglich.
Das scheint die einzige Möglichkeit, objektiv Beweise zu sichern. Die Schülerakte Aiwangers müsste beigezogen, die Beweise gesichert und ausgewertet werden, die Lehrer jener Disziplinarkommission des Gymnasiums, an dem Aiwanger sein Abitur ablegte, unter Eid befragt werden. Mit der so genannten Verdachtsberichterstattung der Süddeutschen Zeitung könnte Hubert Aiwanger aus eigenem Antrieb aufräumen und maximale Transparenz herstellen. Damit bekäme er das Heft des Handelns wieder in die eigenen Hände.
Ansonsten hängt sein persönliches Schicksal am seidenen Faden und dem Wohlwollen des amtierenden Ministerpräsidenten, der seine Aufgabe darin sieht, „seriös abzuwägen und am Ende zu entscheiden“.
Dass Söder über Aiwangers Zukunft entscheiden kann, behagt ihm sicher; ein weiterer Konkurrent wartet auf Söders Urteil.
Da schwingt sich Söder zum Richter auf zur Rettung des Staatswohls und ist doch selbst in höchstem Maße befangen. Was dabei herauskommt ist allenfalls „satis bene“, aber keinesfalls zufriedenstellend.