Die zehn grössten Torheiten auf dem Weg zur Kriegsuntauglichkeit

„Die Schweiz hat keine Armee, sie ist eine Armee“, schrieb der Bundesrat 1988 selbstbewusst in seiner Botschaft zur Armeeabschaffungs-Initiative. Im März 2022 gibt Armeechef Süssli zu Protokoll: «Mit unseren heutigen Mitteln wäre nach ein paar Wochen Schluss» – Wie ist dieser Niedergang zu erklären?

Hier der ganze Text als PDF: Die zehn grössten Torheiten auf dem Weg zur Kriegsuntauglichkeit

  1. Verlust des Willens, für die eigenen Interessen einzustehen
  2. Spaltung des armeefreundlichen Lagers
  3. Orientierung an falschen Vorbildern: Anpassung an die NATO
  4. Verlust der Abschreckungswirkung als Folge der Schwächung der Kampfkraft
  5. «Si vis pacem para bellum» – Missachtung eines ethischen Prinzips
  6. Verlust der Ernsthaftigkeit, Wunschdenken und Vernachlässigung der Lehren der Geschichte
  7. Fataler Irrglaube an Hilfe seitens Dritter
  8. Gravierende organisatorische Fehlkonzeption und Zerstörung bewährter Strukturen
  9. Schwächung der Miliz
  10. Aus den Augen aus dem Sinn

Es ist wieder einmal Krieg in Europa. Und wieder einmal ist die Schweiz schlecht da­rauf vorbereitet. Und wieder einmal sind nicht die Linken für die Missstände verant­wortlich. Schuld sind die Bürgerlichen, denen es an Kraft und Willen fehlte, das Not­wendige und das Richtige zu tun.

«Die Kunst des Krieges ist für den Staat von entscheidender Bedeutung. Sie ist eine Angelegenheit von Leben und Tod, eine Straße, die zur Sicherheit oder in den Untergang führt. Deshalb darf sie unter keinen Umständen vernachlässigt werden.» – Sunzi um 500 v.Chr.

Nach Eingeständnis ihres obersten Chefs ist unsere Armee derzeit nicht in der Lage, ihren in Artikel 58 der Bundesverfassung festgelegten Auftrag zu erfüllen. Dieser lautet:

«Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.»

Nichts Neues unter der Sonne

1910 sorgte der britische Schriftsteller und Publizist und spätere Friedensnobelpreis­träger Norman Angell mit seinem Buch «The Great Illusion» für Furore. Das Werk wurde zum Bestseller. Innerhalb eines Jahres war es in 15 Sprachen auf dem Markt. Ähnlich schwärmerisch und «visionär», wie derzeit Klaus Schwab in «The Great Reset», versuchte Angell in seiner pazifistischen Streitschrift den Nachweis zu erbringen, dass ein Krieg unmöglich sei. Mit «unwiderlegbaren Beweisen» zeigte er auf, dass bei der herrschenden finanziellen und wirtschaftlichen Verflechtung der Nationen der Sieger nicht weniger als der Besiegte leiden würde; Krieg sei daher unrentabel geworden, und keine Nation werde darum so töricht sein, einen zu beginnen.

Obwohl das Buch begeistert aufgenommen wurde, und Experten, deren Kompetenz niemand in Zweifel zu ziehen wagte, die Thesen nicht nur unterstützten, sondern überzeugt waren, dass auch Deutschland der Doktrin Angells aufgeschlossen ge­genüberstand, kam es nur wenige Jahre später zu Ur-Katastrophe des 20. Jahrhun­derts. Zwischen 1914 und 1918 tobte der Erste Weltkrieg, der rund 15 Millionen Tote forderte. Er brachte enorme politische und gesellschaftliche Umwälzungen mit sich. Doch nur 21 Jahre später wurde die Welt in einen noch mörderischeren Krieg ge­stürzt. – Norman Angell muss ein Fehler unterlaufen sein.

Nicht zuletzt wegen solcher Fehleischätzungen, die der Wachsamkeit abträglich sind, war auch die Schweizer Armee am Vorabend des Ersten Weltkrieges schlecht auf­gestellt und verfügte nur über eine ungenügende Ausrüstung. 1913 rief die Offiziers­gesellschaft dazu auf, Geld zu spenden, um dem Militär Flugzeuge zu kaufen. Zuvor war die Luftwaffe mit konfiszierten ausländischen Maschinen und solchen von Schweizer Flugpionieren betrieben worden. Der Aufruf war ein Erfolg: Mit Flugtagen, Veranstaltungen, Kollekten und Sonderverkäufen konnten über 1,7 Millionen Schweizer Franken gesammelt werden. Das Eidgenössische Militärdepartement (EMD) kaufte mit dem Geld 1916 17 Flugzeuge und 14 Reservemotoren.

Der schöne, aber naive Traum vom ewigen Frieden

Ideologien zeichnen sich durch den Glauben aus, mit den «richtigen» Massnahmen liesse sich die «Conditio humana», ja das Wesen der Menschen in seinem Kern verändern. In Verkennung der Realität und der Lehren der Geschichte wurde immer wieder versucht, den «neuen Menschen» zu erschaffen, der keine Kriege mehr führt, nur das Gute will, und nur das Gute schafft. Millionen von Toten geben Zeugnis von den Folgen solcher Hybris.

Nach dem Ersten Weltkrieg glaubten viele, mit dem «Versailler Friedensvertrag», sei der ewige Friede ausgebrochen. Die Menschen hätten ihre Lektion gelernt. Vor allem die internationalistische Linke wollte von einer starken Landesverteidigung nichts mehr wissen. Berühmte Exponenten, wie der Schaffhauser Nationalrat Walther Bringolf, zeigten statt­dessen grosse Sympathien für den sowjetischen Kommunismus und träumten von der Vereinigung der Arbeiterschaft. Erst mit dem Erstarken des Nationalsozialismus in Deutschland näherten sich Schweizer Kommunisten den Sozialdemokraten wieder an. Das Bekenntnis der Linken zur Landesverteidigung wurde allerdings lange als wenig glaubwürdig angesehen. Erst am 15. Dezember 1943 wurde mit dem Zürcher Stadtpräsidenten Ernst Nobs erstmals ein Sozialdemokrat in den Bundesrat gewählt.

Die politischen Wirren zwischen den beiden Weltkriegen waren nicht dazu angetan, die Leistungsbereitschaft der Schweizer Armee auf das notwendige Niveau zu he­ben. Es fehlte an Material, Munition und an Flugzeugen, deren Bedeutung im Krieg inzwischen anerkannt war.

1936 bewilligte die Bundesversammlung, die von Bundesrat Rudolf Minger initiierte, «Wehranleihe» in Höhe 235 Mio. Franken für zusätzliche Rüstungsinvestitionen. Insgesamt nahm der Staat damit schliesslich 335 Mio. Franken ein.

Gleichwohl brauchte «Bundesbern» auch einen Anstoss von aussen. Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler forderte eine starke Flugwaffe. Die Schweiz müsse tausend Militärflugzeuge beschaffen, die Jugend für die Aviatik begeistern, eine nationale Flugzeugindustrie aufbauen und eine Sondersteuer («Wehropfer») zur Finanzierung erheben. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, lancierte er sogar eine Volkinitiative. Nach Kriegsausbruch wurde diese dann allerdings nicht mehr eingereicht. Der Bundesrat hat es schliesslich auch so gemerkt.

Schon 1948 hatte «Dutti» den Eindruck, der Wehrwille lasse bereits wieder nach. Er fürchtete neue kriegerische Auseinandersetzungen und wollte die Bevölkerung dazu anhalten, Lebensmittelvorräte anzulegen. Unter dem Eindruck, der Nationalrat hätte seinen entsprechenden Vorstoss um mehr als vier Jahre verschleppt, warf er zwei Steine in eine Fensterscheibe des Bundeshauses, was im In- und Ausland für grosses Aufsehen sorgte.

Wie wenig er damit gegen den Schlendrian erreichte, zeigt der Umstand, dass der Bundesrat zwar Berichte verabschiedete und veröffentlichte, in denen er vor Pandemien und Strommangellagen als den grössten Gefahren für die Schweiz warnte, in der Folge aber keinerlei wirksame Vorkehren traf.

Die Torheit der Regierenden

In ihrem klugen Buch „Die Torheit der Regierenden – Von Troja bis Vietnam“, das jedem an politischen und historischen Zusammenhängen interessierten Zeitgenos­sen zur Lektüre empfohlen sei, definiert die Autorin Barbara Tuchman Torheit als ein den eigenen Interessen zuwiderlaufendes Verhalten. Nun ist es allerdings nicht so, dass sie einfach mit dem Wissen späterer Generationen um die Folgen geschichtsträchtiger Entscheidungen Zensuren verteilt. Im Gegenteil, Frau Tuchman qualifiziert ein Handeln nur dann als töricht, wenn die folgenden drei Kriterien erfüllt sind:

  1. So muss eine Politik bereits zu ihrer Zeit, und nicht erst im Nachhinein, als kontra­produktiv erkannt worden sein. Es muss also hinreichend warnende Stimmen gegeben haben. Das ist deshalb wichtig, weil es ungerecht wäre, Menschen der Vergangenheit nach den Vorstellungen der Gegenwart zu beurteilen.
  2. Weiter muss es praktikable Handlungsalternativen zu der kritisierten Politik gegeben haben.
  3. Und schliesslich muss diese, zur Vermeidung der Fixierung auf einzelne Personen, von einer ganzen Personengruppe verfolgt und als richtig betrachtet worden sein.

Was die Wehrfähigkeit der Schweiz und vor allem den Zustand ihrer Armee angeht, ist festzustellen, dass diese Voraussetzungen allesamt erfüllt sind: Die Armee kann ihren Auftrag nur noch unzureichend erfüllen.

Seit rund 30 Jahren wird vor fatalen Fehlentwicklungen gewarnt, doch eine Mehrheit in Bundesrat und Parlament liess diese Warnungen als Kassandrarufe verhallen, und ein Klüngel von Intellektuellen, Künstlern und Journalisten trug das Seinige zur geistigen Kapitulation bei.

Auch wenn derzeit gerade zaghafte Anzeichen einer Kursänderung zu verzeichnen sind, ein Blick auf die nachfolgende Liste von Torheiten, Fehlentwicklungen und Ver­säumnissen, die teilweise miteinander verknüpft sind, macht deutlich, dass es mit nicht einmal drei Dutzend Kampfflugzeugen und mehr Geld für die Armee längst nicht getan ist.

1.             Verlust des Willens, für die eigenen Interessen einzustehen

An erster Stelle nennt unsere Bundesverfassung als Staatszweck den Schutz der Freiheit und der Rechte des Volkes sowie die Wahrung der Unabhängigkeit und die Sicherheit des Landes. Es folgen die Förderung der gemeinsamen Wohlfahrt, die nachhaltige Entwicklung, der innere Zusammenhalt und die kulturelle Vielfalt des Landes.

Unsere Armee ist das letzte Bollwerk zur Verteidigung unseres Staates. Bevor sie zum Einsatz kommt, ist eine ganze Reihe von Massnahmen auszuschöpfen, die dem Staatszweck dienen. Oder, um Clausewitz zu paraphrasieren: Vor dem Krieg hat sich die Politik anderer Mittel zu bedienen.

Die Erfahrungen der letzten drei Jahrzehnte zeigen allerdings, dass unsere Landes­regierung, die die Schweiz nach aussen hin zu vertreten hätte, nicht mehr bereit ist, deren Interessen nur schon klar zu definieren. Von einem entschiedenen Einstehen oder gar von einer erfolgreichen Durchsetzung seiner Interessen kann das Schweizer Volk nur noch träumen.

Der Wille, in einem kleinen Land Verantwortung zu übernehmen, ist der olympischen Devise «Dabeisein ist alles!» zum Opfer gefallen. Unsere Landesregierung liess sich vom deutschen Bundespräsidenten über die Gefahren der direkten Demokratie be­lehren und hat keine Kraft mehr für Schweizer Eigenarten und Traditionen einzu­stehen.

Jeder Rechtserlass, von der Verfassungsänderung über Bundesgesetze bis zur ein­fachen Verordnung wird alles auf die Kompatibilität mit EU-Recht überprüft. Ja kaum eine Volksinitiative wurde vom Bundesrat so verbissen bekämpft wie die Selbstbe­stimmungsinitiative der SVP. Was als «Völkerrecht daherkommt soll unserem Schweizer Recht vorgehen – selbst wenn das auf die Auflösung von Staatsgebiet, Staatsvolk oder Staatsmacht hinausläuft.

Selbst in Gremien, wie der OECD, wo zur Beschlussfassung Einstimmigkeit erforder­lich, bringt der Bundesrat nicht mehr die Kraft auf, zum Schutz unserer Interessen «nein» zu sagen. Selbst wenn dem Schweizer Volk, das zu seinem Schutz Höchsts­ätze für die Steuerbelastung in seine Bundesverfassung schreibt, Mindeststeuern aufgezwungen werden, wehrt sich der Bundesrat nicht mit der gebotenen Entschie­denheit. Dass man nach der Schlussabstimmung nicht applaudiert habe, soll uns Trost genug sein.

Es ist mit aller Brutalität zu fragen, wofür ein Staat, der selbst in untergeordneten Fragen jede Standhaftigkeit abgeht, ja dessen Regierung schon kapituliert, wenn in einem Gremium nicht gewählter Funktionäre von einer «schwarzen Liste» die Rede ist, überhaupt eine Armee, geschweige denn hochmoderne Kampfflugzeuge braucht.

2.             Spaltung des armeefreundlichen Lagers

Der Anfang der unheilbringenden Entwicklung lässt sich genau festlegen: Anfang der 90er-Jahre mit dem EWR und der damit einhergehenden «Öffnung gegenüber Europa». Zwar lehnten Volk, Stände und drei von vier Sprachregionen den Beitritt zu diesem ersten Kolonialvertrag ab, aber der Bundesrat hat das im Verlaufe des Abstimmungkampfs erklärte Ziel, der EU als Vollmitglied beizutreten nie aus den Augen verloren. Am 29. Mai 2000 erklärte Josef Deiss in der Aula der Universität Zürich: «Wir sollten aufhören, vom ‘strategischen Ziel’ zu reden. Von jetzt an ist das Ziel des EU-Beitritts nicht mehr ‘strategisch’: Es ist ein in Arbeit befindliches Projekt.» – Das wurde nie widerrufen. Das ist gelebte Realität in Bundesbern.

Das mit der EWR-/EU-Debatte einsetzende Erstarken der SVP hatte zur Folge, dass sich die Reihen «der Anderen» schlossen. Es bildete sich eine so genannte «Koalition der Vernunft», die sich zur Freude der Linken gegen die SVP abgrenzte. In diesem Klima schielten einige besonders «Weltoffene» begeistert zur Nato und forderte die Schweiz müsse ihren Beitrag leisten. Sie könne nicht nur von der Sicherheit profitieren, die andere produzierten. Und so muss unsere Armeeführung nun seit 1999 regelmässig erklären, man habe im Kosovo grosse Fortschritte für den Frieden erzielt, man sei aber noch nicht ganz am Ziel.

Selbst solche Leerläufe vermögen die Begeisterung der Internationalisten nicht zu trüben. Sie machen unbeirrt weiter nach der Devise «Brachte das Medikament nicht die gewünschte Wirkung, ist die Dosis zu erhöhen.» Dass er das 1992 eingereichte, schon fast vergessene Gesuch 2016 der EU gegen­über für «zurückgezogen» erklären musste, dürfte Bundesrat und Verwaltung sogar gelegen gekommen sein. Seither kann man sich der EU Schritt um Schritt annähern, ohne sich den Vorwurf anhören zu müssen, man wolle ja ohnehin in die EU. Tatsäch­lich ist es nur die Furcht vor einer Niederlage in einer Volksabstimmung, die den Bundesrat zaudern lässt. Auch das so genannte Rahmenabkommen wurde nicht wegen schwerwiegender konzeptioneller Mängel nicht unterzeichnet, sondern weil ein Schiffbruch an der Urne praktisch sicher gewesen wäre.

Tatsache ist jedenfalls, dass das EU-Thema die schweizerische Politik dominiert, wie kein anderes Thema. Auch in Fragen der Landesverteidigung stellt sich regelmässig die Frage: Wie hast Du’s mit dem Ausland, der EU, der Nato?

Das führte vor allem in konzeptionellen Fragen zu einer tiefen Spaltung des armee­befürwortenden Lagers. Man ist sich zwar einig, dass es eine Armee braucht, aber sobald es um deren Struktur und Auftrag geht, ist es mit der Einigkeit vorbei.

 

3.             Orientierung an falschen Vorbildern: Anpassung an die NATO

1994 verwarfen 57,2 Prozent des Stimmvolks das Bundesgesetz über schweizeri­sche Truppen für friedenserhaltende Operationen («Blauhelme»). Nur in vier Kanto­nen fand die Vorlage eine Mehrheit.

Unbeirrt hielt Bundesbern an seinem internationalistischen Kurs fest.

Seit dem 10. September 2002 ist die Schweiz Mitglied der Vereinten Nationen. In der vorangegangenen Volksabstimmung sprach sich die Stimmbevölkerung mit 54,6 % Ja-Stimmen für diesen Schritt aus. Zwölf Stände befürworteten die Vorlage, elf lehn­ten sie ab. Trotz dieses keineswegs überwältigenden Ergebnisses verspürten die «Internationalisten» Auftrieb. Berauscht von so viel «Offenheit» verabschiedete die FDP sogar ein Papier «Vision 2007», in dem allen Ernstes der Beitritt zur Nato gefor­dert wurde. Von diesem Ziel wurde zwar inzwischen Abstand genommen, aber das Zerwürfnis im armeefreundlichen Lager vertiefte sich weiter.

«Gouverner, c’est prévoir!» Jedes intelligente und mit Verantwortung betraute Füh­rungsgremium wird sich darum dauernd über aktuelle Bemühungen informieren, um stets auf Eventualitäten vorbereitet zu sein. Auch die Schweizer Armee muss von den Besten lernen. In diesem Bewusstsein pflegten wir auch lange Zeit intensive Kontakte mit der israelischen Armee. Von diesem Austausch mit einem ebenfalls kleinen Land mit einer deutlich akuteren Sicherheitslage konnte die Schweiz stark profitieren. Gleichwohl wurde er aus politischen – nicht militärischen! – Erwägungen weitgehend eingestellt.

Obwohl die Vernunft verlangt, im Krieg denjenigen als den Besten zu betrachten, der das Feld als Sieger verlässt, nahm sich die schweizerische Militärführung ausge­rechnet die Nato zum Vorbild, deren Hauptmacht gerade eben wie ein geschlagener Hund aus Afghanistan abziehen musste und dabei Material und Munition in Wert von mehreren Milliarden US-Dollars zurückliess. Das sieht nicht nach Sieg aus.

Nur Narren orientieren sich am Verlierer

Natürlich kann die Schweiz keinen Krieg wie die Taliban führen und diesen mit dem Verkauf von Opium finanzieren. Doch ein Land, dass niemanden angreifen, sich aber gegen jeden Angreifer verteidigen will, kann von demjenigen lernen, der es gerade erfolgreich getan hat. Die Faustregel, wonach ein Angreifer zahlenmässig mindes­tens dreimal stärker sein muss als der Verteidiger, findet gerade in der Ukraine wie­der ihre Bestätigung. Auch aus dem Vietnamkrieg liessen sich diesbezüglich wichtige Lehren ziehen.

Die Schweizer Armee darf einen Krieg unter keinen Umständen verlieren. Nicht zu­letzt wegen unserem gut zu verteidigenden Gelände hätte wir in einem Zermürbungs­krieg gute Chancen – auch gegen einen starken Gegner, dem, angesichts fehlender Bodenschätze, vor allem an Transportwegen gelegen ist. Aus diesem Grund war auch das Konzept des Réduit sinnvoll – auch wenn moderne «Experten» und linke Historiker nicht müde werden, das Gegenteil zu behaupten.

In einem Stabskurs der Führungsunterstützungsbrigade 41 informierte uns 2005 im bernischen Schwarzenburg ein ranghoher Planungsoffizier über Ziele und «Errun­genschaften» der Armee XXI. Eine Folie ist mir dabei in unauslöschlicher Erinnerung geblieben: Es ging um das Zahlenverhältnis von kombattanten Truppen zu den «Bürokraten im Innendienst» in der Schweiz und der Nato. Der Referent führte in diesem Zusammenhang aus, dass die Schweizer Armee im Vergleich zur Nato viel zu «kampflastig» sei! Ein Ziel dieser unseligen Armeereform war es also, den Anteil der Männer und Frauen in Uniform, die nie mit Regen und Kälte in Kontakt kommen, massiv zu erhöhen.

 

4.             Verlust der Abschreckungswirkung als Folge der Schwächung der Kampfkraft

Die Stärke der Gewerkschaften in der Schweiz, so wird gerne argumentiert, zeige sich insbesondere daran, dass hierzulande kaum Arbeitsstreitigkeiten offen ausgetragen werden (müssen). Bereits die Möglichkeit, Arbeitskämpfe zu führen, genüge, um Arbeitgeberorganisationen an den Tisch zu zwingen und sich den Forderungen der Arbeitnehmer zu stellen. Arbeitsfrieden dank Abschreckung. Diese Argumentation hat einiges an sich und entspricht genau dem Motto «Willst Du Frieden, dann bereite dich auf den Krieg vor!», auf das im nächsten Kapitel eingegangen wird. Dass ausgerechnet linke Parteien, die Wirksamkeit dieses Konzepts mit Blick auf die Landesverteidigung leugnen, ist erstaunlich.

Die Landesverteidigung ist der einzige Bereich des gesamten Staatshauhalts, in dem der Aufwand real zurückging. Wenn sich National- und Ständerat je irgendwo auf Sparmassnahmen einigen konnten, dann hier. Die Folgen sind desaströs und lassen sich nicht mehr einfach mit einer Aufstockung der finanziellen Mittel korrigieren. Zu viel wurde zerstört.

Die Linken wollten die Armee nur halbieren, die «Bürgerlichen» haben sie gesechstelt

Am 24. September 1992 reichte eine grosse Regierungspartei – die Sozialdemokrati­sche Partei der Schweiz (SPS) – mit 105’680 gültigen Unterschriften die Volksinitiati­ve „Für weniger Militärausgaben und mehr Friedenspolitik“ ein. Gefordert wurde eine Kürzung der Ausgaben für die Landesverteidigung um jährlich 10 Prozent, bis zur Halbierung gegenüber dem Ausgangsjahr. Da diese Initiative eindeutig und mehrfach gegen den Grundsatz der «Einheit der Materie» verstiess, wurde sie 1995 vom Par­lament für ungültig erklärt. Gleichwohl ging sie als eines der erfolgreichsten Volksbe­gehren in die Geschichte ein; die Armee wurde in der Folge nicht nur halbiert, son­dern gesechselt.

Der spätere «Marschall von Frankreich», General Jean de Lattre de Tassigny, der als Hochkommissar und Oberbefehlshaber des Expeditionskorps in Indochina in der Stunde höchster Not eine bereits aussichtslose Situation antraf, stellte lakonisch fest, er sehe vor Ort zu viele Obersten und zu wenig Leutnants. Die verheerende Nieder­lage bei dien Bien Phu liess nicht lange auf sich warten.

In der Armee 61 hatte die Armee noch 625’000 Angehörige, in der Armee 95 waren es noch 400’000. Mit der Armee XXI kam es zu einer ersten Halbierung des Be­stands, der mit der WEA eine weitere folgte. Gegenwärtig beträgt der Bestand rund 100’000 Armeeangehörige.

Verfügten wir 1991 noch über knapp 300 Kampfflugzeuge, sind es derzeit noch 31, wobei deren Ersatzbeschaffung noch nicht in trockenen Tüchern ist. Die Artillerie wurde auf knapp einen Sechstel ihres Bestandes von 1991 geschrumpft. Das gleiche Bild zeigt sich bei den Kampfpanzern: In der Armee 95 hatten wir über 700, heute sind es noch rund 130. Auch Hunderte von Bataillonen, Abteilungen und Geschwa­dern fielen dem Rotstift zum Opfer. Waren es in der Armee 61 bis 1991 noch 742 sind es nun noch 109. Gestiegen ist dafür die Zahl der hohen Stabsoffiziere…

Logische Folge dieses Abbaus an Schlagkraft ist der Verlust der abschreckenden Wirkung – einem Kernelement der Verteidigung. Wir erleben in diesen Tagen im Zu­sammenhang mit dem Überfall auf die Ukraine, was es bedeutet, wenn die eine Seite die andere für schwach hält. Es ist wie beim Schach: Man muss immer auch die Op­tionen und Absichten des Gegners in Betracht ziehen.

Die Nato ist ein Verteidigungsbündnis, deren Mitglieder sich im Falle eines Angriffs zur gegenseitigen Unterstützung verpflichteten. Wer einen Nato-Staat angreift, greift die Nato an und hat entsprechende Konsequenzen zu gewärtigen. Das bestimmt Artikel 5 des Nato-Vertrags. Der so genannte «Bündnisfall» ist also vertraglich geregelt.

Wo kein Nato-Mitgliedsstaat betroffen ist, kommt hingegen die uralte Interessenpolitik zum Tragen. «Mourir pour Dantzig?», fragten sich die Franzosen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs, was nicht gerade von Begeisterung zeugt, einer völkerrechtlichen Zusage nachzukommen. Aber so ist nun einmal die Realität. Wer sich nicht an die Regeln hält, hat bei einer Auseinandersetzung einen taktischen Vorteil.

Die Nato hat zwar die militärischen Möglichkeiten, der russischen Armee entgegenzutreten, aber der Preis dafür wäre eine gefährliche Eskalation, was sich unter Atommächten niemand wünschen kann. Die Nato dürfte darum gut beraten sein, sich nicht für ein Nicht-Mitglied über die eigene Charta hinwegzusetzen, so frustrierend das auch sein mag. Allerdings birgt das die Gefahr, dass durch diese Beschränkung auf reine Verteidigung, auch andere Staaten den Drang verspüren, sich fremde Territorien einzuverleiben. Solange sie dabei die Nato unberührt lassen, haben sie nichts zu befürchten, und in der Uno verfügen sie oder ihre Verbündeten über das Vetorecht.

Am 24. Februar 2022 – also am Tag des russischen Überfalls auf die Ukraine – publizierte die Nato auf YouTube und anderen Kanälen ein Werbevideo mit dem Titel «NATO: Diversity is our strength». Darin wird gezeigt, wie offen man ist gegenüber sämtlichen Hautfarben und jeder vorstellbaren sexuellen Orientierung. Nur, was das mit Verteidigung zu tun hat, wird nicht erklärt. Hautfarbe und sexuelle Orientierung sind vollkommen irrelevant. Das Einzige, was im Ernstfall zählt, ist, dass man vom Gegner ernst genommen wird, und dass man, sollte es zum bewaffneten Konflikt kommen, diesen zu seinen Gunsten entscheidet. Was das Erstere angeht, hat die Nato versagt.

 

5.             «Si vis pacem para bellum» – Missachtung eines ethischen Prinzips

Zu den sträflich vernachlässigten Lehren gehört auch die alte Weisheit, wonach sich auf den Krieg vorbereiten soll, wer Frieden will. Das entsprechende lateinische Sprichwort «Si vis pacem para bellum» geht auf eine zentrale ethische Frage der Menschheit zurück. In einem fiktiven Gespräch über Staatstheorie lässt Platon drei alte Männer (!) darüber diskutieren, dass ein Leben in Glückseligkeit möglich sei, wenn man selbst Dritten gegenüber kein Unrecht begehe und umgekehrt kein Unrecht von dritter Seite zu erleiden habe. Während jedermann das eigene Verhalten beeinflussen kann und dementsprechend dafür verantwortlich ist, ist jenes der Mitmenschen dem eigenen Willen naturgemäss entzogen. Es braucht darum ein Dispositiv, um andere von bösem Tun abzuhalten.

Nach diesem Prinzip funktioniert auch unser Strafrecht. Es belohnt nicht den, der sich an die Regeln hält, sondern bedroht den mit Strafe, der gegen die Normen verstösst.

«Si vis pacem para bellum» entspricht also nicht nur einem ethischen Prinzip, es legitimiert jede Armee, die auf Verteidigung ausgerichtet ist.

Man kann sich das heute zwar kaum mehr vorstellen, aber wir hatten tatsächlich einmal einen – freisinnigen – Bundesrat mit Namen Herman Obrecht, der sich am 16. März 1939 mit folgenden Worten an die Mitglieder der Neuen Helvetischen Gesellschaft richtete: „Das Ausland muss es wissen: Wer uns ehrt und in Ruhe lässt, ist unser Freund. Wer dagegen unsere Unabhängigkeit und unsere politische Unversehrtheit angreifen sollte, dem wartet der Krieg. Wir Schweizer werden nicht zuerst ins Ausland wallfahrten gehen.“

Heute müssen wir froh sein, wenn die Mitglieder unserer Landesregierung zwischen ihren Wallfahrten wenigstens Pausen einlegen und in Bern ihrer Arbeit nachgehen. An dieser Stelle wird von unserer Intelligenzija jeweils eingewendet, die Welt sei eben heute viel komplexer. Ach, wirklich? Welche Aufgabe könnte denn schwieriger sein als jene, das Land aus Kriegen herauszuhalten?

Verteidigung. Punkt! – Keine Schweizer Soldaten im Ausland!

Wie dem auch sei, Obrechts Diktum ist eine Doktrin, eine leicht verständliche Leitlinie, die unserem Land zu Frieden und Wohlstand gereichte. Niemand kann aus ethisch-moralischer Warte etwas dagegen vorbringen. Die Sache hat nur einen Haken: Sie steht und fällt mit der Glaubwürdigkeit der Verteidigung. Sobald damit begonnen wird, Truppen – selbst mit den besten Absichten – zu Einsätzen im Ausland zu entsenden, ist es mit der Klarheit des Auftrags vorbei. Dabei ist völlig unerheblich, ob solcher Dienst freiwillig oder Pflichtweise erfolgt. In Gegenteil, damit werden Weichen Richtung Zweiklassen-Armee gestellt, und bereits die Unterscheidung fördert eine intellektuelle Verrenkung zutage, die dem Gesamtauftrag zur Landesverteidigung nur abträglich sein kann.

Die Schweiz soll ihr Territorium und die Rechte und Freiheiten des Schweizer Volks verteidigen und sich nicht in fremde Händel mischen.

Wir sind in diesen Tagen Zeugen, wie sich die Verteidiger der Ukraine genau jener Mittel bedienen, die auch zum Verteidigungsdispositiv der Schweiz gehörten: Sie zerstören die Infrastruktur, die dem Feind nützlich sein könnte. Sie sprengen Brücken und Tunnels, überschwemmen Felder und unterbrechen Verbindungen.

Auf genau solche Massnahmen war die Schweiz vorbereitet. An neuralgischen Punkten waren Sprengladungen für den Fall der Fälle bereits angebracht. Zudem verfügten wir über umfangreiche Bunkeranlagen. Alles wurde stillgelegt und zurückgebaut, nur um dem Ausland zu gefallen.

 

Abwegiges „Aufwuchs-Konzept“

Mit der Armee-Reform XXI entstand – nicht zuletzt unter dem Spardruck, dem allerdings nur das Militär ausgesetzt war – das „Aufwuchs-Konzept“: Für gewisse Verteidigungsbereiche sollen jeweils nur Teile der Armee ausgebildet und ausgerüstet werden. Bei sich abzeichnender Bedrohung müsste die Armee insgesamt in das zuvor nur von einem kleinen Kern beherrschte Können „aufwachsen“.

Die Antworten des Bundesrats auf eine parlamentarische Interpellation (09.3598 – Schlüer) zeugen von einer erschreckenden Naivität. Beispielhaft dazu Frage 7:

«Nachdem vonseiten der Armee der Zeitbedarf für den Aufwuchs bereits auf acht bis zehn Jahre, der Finanzbedarf auf bis zu 40 Milliarden Franken eingeschätzt worden ist: Wie sieht der Bundesrat heute die zeitlichen und finanziellen Perspektiven bezüglich des Armee-Aufwuchses?»

Antwort: «Sollte ein Aufwuchs der Armee einmal erforderlich sein, so wird die Art der konkret sich abzeichnenden Bedrohung entscheidend sein für Art, Umfang, Kosten und Dauer der zu treffenden Aufwuchsmassnahmen.»

 

6.             Verlust der Ernsthaftigkeit, Wunschdenken und Vernachlässigung der Lehren der Geschichte

So frustrierend es sein mag: Manche Dinge ändern sich nicht, auch wenn Politiker gerne so tun, als käme mit ihnen eine neue Zeit. Aus der Psychologie wissen wir, dass Menschen nach Macht über andere Menschen streben. Nach Alfred Adler ist Machtstreben sogar einer der Hauptantriebe menschlichen Verhaltens. Und wenn Menschen erst über Macht verfügen, so werden sie, wie Lord Acton feststellte, korrupt, und zwar im gleichen Masse, wie ihre Machtfülle wächst.

Fehlender Respekt vor dem Krieg

Als die umfassendste Form der Machtausübung ist Krieg eine ernsthafte Sache. Es geht um Leben und Tod. Das Dienstreglement der Schweizer Armee definiert als Ziel der militärischen Ausbildung und Erziehung «die Fähigkeit zur Auftragserfüllung im Krieg und in anderen Krisensituationen, auch unter Einsatz des Lebens.»

Von zum Aktivdienst aufgebotenen Truppen wird verlangt, dass sie schwören/geloben:

  • «der Schweizerischen Eidgenossenschaft mit ganzer Kraft zu dienen;
  • Recht und Freiheit des Schweizervolkes tapfer zu verteidigen;
  • meine Pflichten auch unter Einsatz des Lebens zu erfüllen;
  • der eigenen Truppe treu zu bleiben und in Kameradschaft zusammenzuhalten;
  • die Regeln des Kriegsvölkerrechts einzuhalten.»

Eine (politische) Armeeführung, die sich mehr um den Anteil der Frauen in den Rängen und um deren Unterhosen kümmert und alles unterlässt, was die armeefeindliche Linke provozieren könnte, lässt es an der gebotenen Ernsthaftigkeit fehlen. Das gilt nicht nur für den Ernstfall. Auch in der Rekrutenschule und in jedem gewöhnlichen Wiederholungskurs, müssen die Wehrpflichtigen spüren, dass sie nicht einfach zum Zeitvertreib aus ihrem Zivilleben gerissen wurden.

Es ist leicht, im Rahmen internationaler Konferenzen von Solidarität und der Übernahme von Verantwortung zu sprechen. Am Ende geht es um die Frage, welchen Preis, oder deutlicher, welchen Blutzoll, man zu bezahlen bereit ist.

Bisher redeten die Apologeten von Auslandeinsätzen der Schweizer Armee diese mit dem Argument schön, es seien dafür nur Freiwillige vorgesehen. Das ist eine Schlaumeierei und Augenwischerei, denn bereits für die Zulassung zum Instruktionsdienst braucht es eine entsprechende Freiwilligkeitserklärung.

In der Spirale des Krieges vergisst eine Regierung rasch, dass ihre vornehmste Aufgabe im Schutz der eigenen Bevölkerung besteht. Diese Pflicht besteht seit Jahrtausenden. Im Feudalwesen des Mittelalters wurde sie sogar durch Eid bekräftigt. Die Untergebenen verpflichteten sich zum Fron- und Militärdienst, währen der Landesherr umgekehrt für Sicherheit zu sorgen hatte. Eine allgemeine Militärdienstpflicht gab es hingegen nicht.

Was, wenn plötzlich nicht mehr genügend Freiwillige zur Stelle sind? Es ist nicht anzunehmen, dass unsere Aussenpolitiker in einem solchen Fall erklären werden, Solidarität und Verantwortungsbereitschaft der Eidgenossenschaft seien nun ausgeschöpft, und die anderen sollen nun halt schauen, wie sie zurechtkommen. Stattdessen wird einmal mehr das ebenso unsinnige wie politisch erfolgreiche Argument, wer A gesagt habe, müsse auch B sagen, obsiegen.

Damit überschreitet der Staat unzulässigerweise eine ethische Linie. Es gehört nicht zu den Pflichten eines Schweizer Bürgers oder einer Schweizer Bürgerin, sich in fremde Händel einzumischen. Und schon gar nicht hat eine Schweizer Regierung das Recht, im Rahmen von Auslandabenteuern Pflichterfüllung unter Einsatz des Lebens einzufordern.

Militärdienstpflicht ist bereits in Friedenszeiten ein schwerwiegender Eingriff in die Persönliche Freiheit der Menschen. Ethisch zu rechtfertigen ist dieser nur, wenn es um den Schutz, also um die reine Verteidigung, der Rechte und Freiheiten des Schweizer Volks geht.

«Zeitgemäss» ist keine taugliche Kategorie

Eine der grössten Torheiten derer sich politische Verantwortungsträger schuldig machen können, ist das Leugnen der Tatsache, dass sich die Natur des Menschen nicht ändern lässt und gewisse Dinge darum als konstant zu betrachten sind. Insbesondere Politiker, die sich selbst als «lösungsorientiert» bezeichnen, scheuen häufig bereits die Anerkennung und die Auseinandersetzung mit unliebsamen Tatsachen. Ihnen geht es angeblich nur um die Verwirklichung hehrer Ziele. Damit suggerieren sie natürlich auch, sie verfügten über die Fähigkeit die Geschichte zu gestalten. Manche gehen sogar so weit, ganz offiziell einen «neuen Menschen» schaffen zu wollen. Sämtliche entsprechende Unterfangen endeten blutig.

Verdrehung der Sprache

Versuche, die Realität den jeweiligen Wünschen und Vorstellungen anzupassen, beginnen mit der Veränderung und der Beeinflussung des Sprachgebrauchs. Schon immer war Propaganda ein Teil der Kriegsführung. Caesar schrieb seine Berichte genauso in Propagandaabsicht wie Napoleon, der seine Bulletins persönlich redigierte. Und mit Aufkommen der Fotografie und später mit elektronischen Medien wurden die Möglichkeiten grenzenlos.

Bemerkenswert ist beispielsweise, wie es der armeekritischen Linken gelungen ist, selbst den Ausgang des Kalten Kriegs ins komplette Gegenteil umzukehren. Mit einem Spin, der aus PR-Sicht Bewunderung abverlangt, ist es ihr gelungen den Begriff «Kalter Krieger» negativ zu konnotieren. Die schlichte Tatsache, dass es die «kalten Krieger» waren, die den Kalten Krieg eindeutig gewannen, wird vollständig ausgeblendet. Stattdessen wird die Karikatur fanatischer Militärs gezeichnet, die auf längst überholte Mittel und Methoden schwören.

Propaganda muss nicht zwingend kriegstreiberisch sein. Sie zielt ganz allgemein darauf ab, beim Rezipienten einen falschen Eindruck von der Wirklichkeit zu erzeugen. Es können sogar vermeintlich gute Absichten dahinterstecken.

Bekannt sind die Slogans aus Orwells «1984»: «Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!». Hier werden Begriffe mit ihrem genauen Gegenteil gleichgesetzt.

Auch ohne «grossen Bruder» und ein «Wahrheitsministerium» sind wir nicht weit von solchen Sprachverdrehungen entfernt. Ministerien, die für Krieg zuständig sind, heissen nicht «Kriegsministerium», sondern «Verteidigungsministerium». Auch in der Schweiz wurde das «Militär» aus dem Namen entfernt und dafür durch «Bevölkerungsschutz und Sport» ergänzt. Dahinter stehen Absichten: Es soll verschleiert werden, dass es um Krieg, und damit ums Töten geht.

Krieg wird vor diesem Hintergrund euphemistisch als «peace enforcement» oder «peace keeping» bezeichnet. Das ermöglicht es Schweizer Politikern, die der Neutralität überdrüssig sind, das eine zu begrüssen und das andere auszuschliessen, obwohl diese Trennung in der Realität kaum möglich ist. In der Medieninformation des VBS zum «Kadertag für flexiblere Armee» vom 15. Februar 2000 liest sich das wie folgt:

«Zum Reformprozess Armee XXI sagte VBS-Chef Adolf Ogi: „Wir müssen eine Armee planen, die politisch machbar und durchsetzbar ist.“ Deshalb habe er klare Leitplanken gesetzt: So stehe die Neutralität nicht zur Diskussion, ebenso wenig ein Bündnisbeitritt zu NATO und WEU. Bei der Friedensunterstützung komme Peace Enforcement keinesfalls in Frage.»

Die Wortwahl ist so entlarvend, wie sie zu verschleiern versucht. Es beginnt beim Motto der Tagung: «Für eine flexiblere Armee». Muss eine Armee flexibel sein oder in der Lage, ihren Auftrag zu erfüllen? Aber, wer kann schon gegen Flexibilität sein? Die gleichen Leute,, die solche leeren Begriffe verwenden, reden übrigens auch einer «dynamischen Rechtsübernahme» das Wort.

Dann distanziert sich der VBS-Chef vom Projekt, indem er seinem Publikum zu verstehen gibt, dass er persönlich eigentlich noch viel weiter gehen möchte, dies aber nicht für machbar und durchsetzbar hält. Seine «Leitplanken sollen als Kompromiss verstanden werden, als wäre die Sicherheit des Landes verhandelbar.

Dann wird behauptet, die Neutralität stehe nicht zur Diskussion, ebenso wenig ein Bündnisbeitritt zu NATO und WEU. Das ist Augenwischerei, denn bis zum Vollbeitritt zur Nato ist praktisch alles möglich. So ist die ganze Armeeführung auf Nato-Strukturen ausgerichtet, laufend werden Truppen und Stäbe von ausländischen Delegationen inspiziert und als französische Panzertruppen auf der Wichlenalp Schiessübungen durchführten verweigerten sie sogar die Auskunft über die dabei verwendete Munition.

Auch der Hinweis, dass bei der Friedensunterstützung «Peace Enforcement» keinesfalls in Frage komme, ist unsinnig. «Friedensunterstützung» heisst nichts anderes als ein bewaffneter militärischer, also kriegerischer Einsatz. Dass ein solcher rasch in ein Gefecht umschlagen kann, liegt in der Natur der Sache.

Wie sollten sich Schweizer Soldaten in einer solchen Situation verhalten? Davonlaufen oder kapitulieren, weil der Bundesrat nicht die Kraft hat, Krieg als Krieg und die Preisgabe der Neutralität als Preisgabe der Neutralität zu bezeichnen?

Ein CEO als Sicherheitsproduzent?

Auch die Armeeführung scheint bisweilen zu vergessen, dass sie einen ernsthaften Auftrag zu erfüllen hat. Immer wieder wird hingenommen, dass die Armee – und damit Bürger in Uniform! – als «Dienstleister» missbraucht werden. Nachdem der Armee im Rahmen der letzten Expo eine Leistungsschau verwehrt wurde, zeigte man sich erfreut darüber, wenigstens als Verkehrskadetten oder bei der Abfallbeseitigung in Erscheinung treten zu dürfen. Der Einsatz von Soldaten an Sportanlässen ist bereits Routine.

In diese Bild passt die Aussage des ersten Armeechefs, der als Dreisternegeneral von sich sagte, er sei der CEO der Armee, und sein Produkt sei Sicherheit…

Von einem «Friedensprojekt» umzingelt

Eines der wichtigsten Dogmen der Internationalisten ist jenes von der EU als «Friedensprojekt», das mit einem Friedensnobelpreis gewissermassen kanonisiert wurde.

Gewiss waren die Gründerväter, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion) ins Leben riefen, aus der über die Römischen Verträge, die EWG, die EG und schliesslich die EU hervorgingen, von den besten Absichten getrieben. Es brauchte grossen Mut und den Glauben an ein friedliches Zusammenleben, um nach dem Leid, das Nazi-Deutschland über Europa und die Welt brachte einen solchen Neuanfang zu wagen.

So gesehen mag die EU tatsächlich ein «Friedensprojekt» sein, doch ist es gerade die damit einhergehende und von Politikern kultivierte Überhöhung ins Mystische, die eine kritische Auseinandersetzung erschwert und den Blick auf die Realität vernebelt. Die längste Friedensperiode in der Geschichte des Kontinents ist weit mehr dem atomaren «Gleichgewicht des Schreckens» zu verdanken als einem Klüngel von Funktionären, die sich berufen fühlen, ohne entsprechende demokratische Legitimation die Völker Europas in einen Bundesstaat zu zwingen.

Seit Frankreich und Dänemark den Maastrichter Vertrag ablehnten und die Politiker Besserung versprachen, ist in der EU nichts besser geworden. Aber an einem «Friedensprojekt» darf sich nichts verschlechtern, denn das würde ja bedeuten, dass man sich auf Krieg zubewegt. Also wird weiter behauptet, was nicht den Tatsachen entspricht, nur um die Fassade zu wahren.

Die Legende vom «Friedensprojekt» kam den klammen Mitgliedstaaten entgegen, denn sie eröffnete ihnen die Möglichkeit, die eigenen Verteidigungsausgaben zu senken. Im Ernstfall, so wurde spekuliert, würden die USA bestimmt erneut helfen. Und so unterliessen es auch die meisten Nato-Mitglieder unter ihnen, die vertraglich vereinbarten 2 Prozent ihres BIP für Verteidigungszwecke aufzuwenden. Es war an Donald Trump, sie in der ihm eigenen Klarheit auf Ihr Versäumnis aufmerksam zu machen.

Auch die Schweiz vernachlässigte ihren Verteidigungsauftrag sträflich, schliesslich ist sie von einem «Friedensprojekt» umzingelt.

Vernachlässigung der Erfahrungen und Lehren

In diesem Rausch des Wohlbehagens werden unbequeme Wahrheiten verdrängt. Wie in Homers Erzählung vom trojanischen Pferd, wo Kassandras und Laokoons eindringliche Warnungen in den Wind geschlagen wurden, wird allzu gerne ausgeblendet, was nicht ins Konzept passt.

Wer Krieg führt, will ihn gewinnen. Nach der Wahrheit, die bekanntlich zuerst stirbt, hat auch das Recht im Krieg einen schweren Stand. Nicht umsonst heisst es «à la guerre, comme à la guerre!». Krieg ist nicht fair. Im Krieg ist mit allem zu rechnen. Umso wichtiger ist es, keinen Zweifel an der eigenen Ernsthaftigkeit aufkommen zu lassen. Wer hingegen glaubt, an so wichtigen Prinzipien, wie der bewaffneten Neutralität, herumrelativieren zu können, wird eines Tages mit der brutalen Realität konfrontiert werden.

 

7.             Fataler Irrglaube an Hilfe seitens Dritter

«There’s no such thing as a free lunch.» – Während der Sinn dieses Satzes den meisten Menschen einleuchtet, glauben in der Politik nach wie vor viele, wo alle von gutem Willen beseelt seien, gebe etwas gratis. Auch in der Schweiz kannte die Begeisterung für das Nato-Programm «Partnerschaft für den Frieden» (PfP) in gewissen Kreisen keine Grenzen. Bemerkenswert ist, dass die gleichen Kreise, die der Schweiz vorwerfen, sie würde gegenüber der EU Rosinenpickerei betreiben, PfP als eine Art Speisekarte rühmen, aus der man sich nach Belieben ein Menü zusammenstellen dürfe.

Wie der französische General und Staatspräsident Charles de Gaulle einst so treffend feststellte, haben Staaten keine Freunde, sondern lediglich Interessen. Es ist wohl nur mit Naivität zu erklären, dass sich viele Regierende dieser simplen Erkenntnis verschliessen. Vielleicht tun sie es auch deshalb, weil sie die Anerkennung zu aktivem handeln Zwingen würde. So kann man bequem auf das Kollektiv verweisen.

Dass darauf kein Verlass ist, bewies unlängst die Blockierung von Material zum Schutz vor der Corona-Pandemie, das für die Schweiz bestimmt war durch Deutschland und Frankreich. Diese beiden Nachbarländer, die nicht müde werden, sich ihrer europäischen Gesinnung zu rühmen, entpuppten sich als Vertreter knallharter, egoistischer Interessenpolitik. Selbst mehrmalige Interventionen beim zuständigen EU-Handelskommissar und ein Machtwort Brüssels brachten lange nichts.

Tatsache ist und bleibt, dass sich im Ernstfall jeder selbst der Nächste ist. Der Kluge bereitet sich vor, der Narr vertraut auf die anderen.

 

8.             Gravierende organisatorische Fehlkonzeption und Zerstörung bewährter Strukturen

Besonders schwerwiegende Folgen für die Schweizer Armee hatte die deutliche Annahme des revidierten Bundesgesetzes die Armee und die Militärverwaltung (Militärgesetz, MG) in der Volksabstimmung vom 18. Mai 2003. 76 Prozent der Stimmbevölkerung stimmten der Vorlage zu.

FDP (heute: FDP.Die Liberalen) und CVP (heute: Die Mitte) triumphierten gemeinsam mit der Linken über die SVP. Ein Muster, das sich noch mehrfach wiederholen sollte, bis sich die Fehlentwicklung nicht länger unter dem Deckel halten liess und mit der WEA-Vorlage (Weiterentwicklung der Armee) die schlimmsten Fehler und Missstände korrigiert wurden. Es blieb allerdings bei Retuschen.

Wie schwerwiegend die Missstände sind, brachten unter anderem die grossangelegten Armee-Stabsrahmenübungen «Stabilo» (2007) und «Stabilo Due» (2012) ans Licht. Die Resultate der zweiten Übung waren so miserabel, dass sie die Armeeführung unter Verschluss halten wollte. Die «NZZ am Sonntag» sprach gar von einem «Totalversagen der Armeeführung».

In der Folge wurde «die Kommunikation verbessert», das heisst: Es wurden noch mehr «Fassadenpolierer» eingestellt. Das VBS verfügt schon längst über den grössten Kommunikationsapparat sämtlicher Departemente. Dies wiederum hatte den unliebsamen Nebeneffekt, der Personifizierung auch in Fragen der Landesverteidigung. Jeder Vorfall an einer Rekrutenschule musste plötzlich von höchster Ebene kommentiert werden, was der Sache häufig nicht angemessen ist, und den «Chef» überhöht, indem er unnötigerweise ins Schaufenster gerückt wird.

Zerstörung einfacher und bewährter Kommandostrukturen

Auch der Schaffung des unschweizerischen Amts eines «Chef der Armee» lagen wohl vor allem PR-Erwägungen und Nato-Vorgaben zugrunde.

Zuvor war die Armee klar und einfach gegliedert: Es gab drei Feldarmeekorps und ein Gebirgsarmeekorps (mit je drei Divisionen) – geführt von je einem Korpskommandanten. Diese wurden zusammen mit dem Ausbildungschef und dem Generalstabschef zu allen wesentlichen militärpolitischen Entscheiden beigezogen.

Wenn die Schweizer Armee im Laufe ihrer Geschichte auch einige herausragende und äusserst fähige Generalstabschefs hervorbrachte, waren diese in ihrer streng militärischen Funktion immer «nur» Repräsentanten eines Stabs, der im Kriegsfall dem General zur Verfügung stand («primus inter pares»).

Mit dem «Chef der Armee» wurde eine Zwitter-Funktion zwischen Militär und Politik geschaffen. Diese Poleposition wirkt präjudiziell, was sich im Ernstfall, wenn es darum geht, dass die Bundesversammlung einen Oberbefehlshaber wählt, als nachteilig erweisen dürfte.

Sabotage der Mobilmachung

Bis zur Armee XXI verfügte die Schweizer Armee über ein vorbildliches System der Mobilmachung, das in jedem Wiederholungskurs exerziert wurde: Jeder Soldat wusste, wo er – mit Munition und Sturmgewehr – einzurücken hatte. Er kannte das betreffende Gebäude und die anwesenden Kameraden. Er wusste, wo sich die Fasstrasse befand, war innert kürzester Zeit ausgerüstet und er kannte seinen Auftrag.

Innert 24 Stunden hatte die Schweiz eine halbe Million Soldaten unter den Waffen. Dann kamen die «Experten». Nun braucht es Tage und Wochen, bis die Truppe in der Lage ist, den Bewachungsauftrag für kritische Infrastruktur zu erfüllen.

Eine Mobilmachung ist heute in erster Linie eine enorme logistische Angelegenheit, bei der nach Murphy schief geht, was schiefgehen kann.

Während jede Kompanie früher mit dem eigenen und vertrauten Material, das dezentral gelagert wurde, arbeitete und sich darum im eigenen Interesse um dessen Zustand kümmerte, wird heute alles zentral gesteuert. Das führte zu enormen Kosten, denen keine Verbesserung gegenübersteht. Im Gegenteil.

Leider sind das nicht die Fragen, die aktuell debattiert werden. Im Zusammenhang mit dem neuen Logistikzentrum der Armee in Burgdorf BE wird nur heftig darüber gestritten, ob das Dach mit einer Solaranlage ausgestattet werden oder begrünt werden soll. Es besteht ein Zielkonflikt zwischen «Klimaneutralität» und «Biodiversität». Da sind die Bedürfnisse des Wehrmannes nachrangig.

Abschaffung des Flughafenregiments

Was die erwähnte kritische Infrastruktur angeht, verfügte die Armee früher über speziell ausgebildete Einheiten zum Schutz der Flughäfen Zürich (Regiment) und Genf (Bataillon.) Für jeden Angehörigen lag neben der persönlichen Ausrüstung zu Hause eine zweite am Einsatzort parat. Im Falle einer Alarmierung über Pager wusste jeder, wo er sich umgehend einzufinden hat, und welchen Auftrag er vor Ort zu erfüllen hat.

Weil es in der Nato keine Regimenter gibt, wurde diese hervorragenden Einheiten abgeschafft. Ein tauglicher Ersatz besteht nicht.

Entfremdung von der vertrauten Region

Eine der grössten Stärke einer Milizarmee ist die offensichtliche Verbundenheit mit den zivilen Verhältnissen. Die Soldaten kennen sich, und sie kennen die Regionen, in denen sie Dienst leisten.

Wie wichtig dieser psychologische Faktor ist, musste auch George Washington im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erfahren. Als Kommandant der «Continental Army» schwebte ihm anfänglich eine «Einheitsarmee» vor, die stramm durchnummeriert keine Rücksicht auf regionale Befindlichkeiten und Besonderheiten nehmen sollte. Das erwies sich als schwerer Fehler, den Washington bald korrigierte. Soldaten sind wesentlich leistungsbereiter, wenn sie im Verband mit den «Ihrigen» kämpfen und wenn die Einheit sogar den Namen der Herkunftsregion trägt.

Auch diese Einsicht wurde von den «Experten» am Reissbrett als «nicht mehr zeitgemäss» eingestuft.

 

9.             Schwächung der Miliz

Obwohl die Volksinitiative zur Abschaffung der Wehrpflicht 2013 wuchtig verworfen wurde, haben wir heute faktisch eine Freiwilligenarmee. Nur zaghaften Reformschritten im Zuge der WEA ist es zu verdanken, dass der Anteil der diensttauglichen Männer im vergangenen Jahr wieder etwas angestiegen ist. Der Zivildienst ist im Vergleich zum Militärdienst noch immer viel zu attraktiv.

Bezogen auf die Militärdiensttauglichkeit weisen die Kantone unterschiedliche Anteile auf. Diese liegen zwischen 83.8 und 58.8%. Würde die Armee geführt und nicht nur verwaltet, wäre schon lange etwas gegen diesen Missstand unternommen worden. Denn entweder herrscht in gewissen Kantonen der Schlendrian, oder wir sind mit einem enormen volksgesundheitlichen Problem konfrontiert. Da es sich bei den Kantonen mit einer tiefen Tauglichkeitsrate allerdings weitgehend um die gleichen Kantone handelt, die auch überdurchschnittlich hohe Gesundheitskosten verursachen, zieht man es in Bundesbern vor, dazu zu schweigen.

 

10.        Aus den Augen aus dem Sinn

In den 90er-Jahren überwies das Berner Stadtparlament einen links-feministischen Vorstoss, wonach Militärfahrzeuge von städtischem Boden zu verbannen seien. Obwohl sich das rechtlich gar nicht durchsetzen liess, war damit ein wichtiges Zeichen gesetzt: Die Bundesstadt mit der «General Guisan-Kaserne» ist gegen das Militär. Die Saat war gesetzt.

In Zürich und anderen Städten wurden Armeeangehörigen in Uniform der Zutritt zu Restaurants verwehrt und vornehmlich in der Westschweiz kam es zu tätlichen Angriffen auf Soldaten im Ausgang.

Die Rückendeckung für die Armee und ihre Angehörigen seitens der Politik war dürftig, und die Armeeführung begnügte sich mit der Empfehlung, Soldaten sollten auf öffentlichen Plätzen und Strassen in Gruppen auftreten.

Diese schleichende Kapitulation ging weiter: Es wurde ein Verzicht auf gross angelegte Truppenmanöver erklärt. An ein Defilee oder auch nur eine Leistungsschau war plötzlich nicht mehr zu denken. Die Armee wurde aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt.

Auch scheinbürgerliche Kreise empfanden die Armee plötzlich als Störfaktor. Aus Tourismusgebieten kam die Forderung, Wiederholungskurse so zu legen, dass Touristen keine Soldaten zu Gesicht bekämen und Letztere in der Zwischensaison für Umsatz in den Restaurants sorgten.

Gegen den Lärm der Militärflugzeuge wurde sogar eine Volksinitiative lanciert, die 2008 die Zustimmung von Volk und Ständen fand. Die Luftwaffe wurde zu einer massiven Einschränkung ihrer Einsatzzeiten gezwungen, was wiederum den Armeekritikern Gelegenheit bot, über eine Armee, die nur zu Bürozeiten einsatzbereit sei, zu spotten. Auch die Reduktion der Zahl der Militärflugplätze und die geografische Verteilung der verbliebenen Einrichtungen belegt, dass die Verantwortlichen regelmässig den Weg des geringsten Widerstands nahmen.

Schliesslich ist in diesem Zusammenhang der Kulturwandel in den Unternehmen zu erwähnen. Vor allem in den grossen internationalen Konzernen mit ausländischem Management wird der Milizgedanke, der sich hierzulande längst nicht nur im Militärischen niederschlägt, nicht mehr verstanden. Wo reines Kosten-Nutzen-Denken herrscht, haben Werte, wie Führungserfahrung, Kameradschaft und Verwurzelung mit der Heimat einen schweren Stand.

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Erschienen im „Nebelspalter“