In einem Leitartikel der Gewerbezeitung vom 6. März 2020 macht sich Gewerbeverbandsdirektor Hans-Ueli Bigler (ex FDP-Nationalrat aus Affoltern) zusammen mit Nationalratsmitgliedern im Namen eines KMU-Komitees gegen die Begrenzungsinitiative stark. Dabei werden Argumente ins Feld geführt, die schlicht nicht haltbar sind.
So behauptet die FDP Nationalrätin Jacqueline de Quattro aus der Waadt, dass die Schweizer Wirtschaft jeden zweiten Franken im Ausland verdiene. Ganz abgesehen davon, dass diese «Fachfrau» offensichtlich Umsätze mit verdientem Gewinn verwechselt, müsste sie mir einmal erklären, warum Exporte in Höhe von CHF 242 Mrd. im Jahre 2019 rund 50% des nominellen Bruttosozialproduktes von CHF 699 Mrd. ausmachen sollen? Von diesen Exporten gingen 2019 Ausfuhren für rund CHF 132 Mrd. in die EU. Das wären dann noch 19% des BIP. Aber in diesen Exporten stecken viele Vorprodukte, die zuvor billiger im Ausland eingekauft und veredelt wieder exportiert werden. Experten gehen davon aus, dass der Anteil der Exporte, die von den Bilateralen I betroffen werden, 2020 nach dem Brexit nur noch 11% der Schweizer Ausfuhren ausmachen. Deshalb ist die Begründung von de Quattro reine Stimmungsmache.
Ähnlich oberflächlich argumentiert der CVP-Nationalrat Fabio Ragazzi aus dem Tessin, der glaubt, die täglichen 67’000 Grenzgängern seien dringend nötig, um den Fachkräftemangel im Tessin zu kompensieren. Im Januar 2020 zählte das Seco im Tessin 5’991 Arbeitslose, was einer Arbeitslosenquote von 3.5% entspricht. Verwendet man die international üblichen Arbeitslosenzahlen, dann betrug die Arbeitslosigkeit im Tessin im vierten Quartal 2019 rund 6.8%, wobei sich die Arbeitslosenrate der Ausländer auf 8.1% stellte, jene der Schweizer auf 6.3%. Wegen der hohen Ausländerarbeitslosigkeit muss der Mittelstand bekanntlich seit 10 Jahren einen Solidaritätsbeitrag zur Sanierung der Arbeitslosenkasse von 1 Lohnprozent abliefern. Viele davon sind Mitglieder des Gewerbeverbandes. Die Arbeitslosigkeit im Tessin und der Ausländer liegt schon seit Jahren deutlich über dem Schweizer Durchschnitt. Man muss sich deshalb fragen, ob die rund 72’000 Ausländer, die 28% der Einwohner im Tessin ausmachen plus die Grenzgänger, die weiteren 19% der Einwohner entsprechen, nicht ausreichen um die Wirtschaft des Tessins am Leben zu erhalten. Im Tessiner Gesundheits- und Heimwesen arbeiten 2015 rund 12’000 Leute, Heute werden es wohl gegen 14’000 sein. Um die Gesundheitsversorgung sicherzustellen, werden kaum 67’000 Grenzgänger benötigt. Es ist doch offensichtlich, dass ein solcher enormer Immigrationsdruck die Löhne im Tessin drückt, denn diese liegen um rund 15% unter dem Schweizer Durchschnitt.
Den Vogel abgeschossen hat aber wohl die FDP-Nationalrätin aus Baselland, die aller Ernstes behauptet, dass die Berufe im Treuhandwesen am stärksten von Problemen der Rekrutierung betroffen seien. Sie stilisiert damit ihr persönliches Problem zu einer nationalen Krise hoch, nur weil sie als Treuhänderin in der Provinz derzeit trotz Personenfreizügigkeit keine Mitarbeiter für ihren Kleinbetrieb finden kann. Rechtfertigt eine temporäre Personalknappheit im Treuhandwesen tatsächlich die erlebte Masseneinwanderung von rund 1.2 Mio. seit dem Jahre 2000? Wer auf solchen «Fachexperten» zur Bekämpfung einer massvollen Einwanderung angewiesen ist, vermag kaum zu überzeugen. Es wäre klüger gewesen, vorerst die simplen Fakten zu überprüfen, statt unbesehen die Fake News der economiesuisse-Konzernbosse nachzubeten.
Hans Kaufmann, alt Nationalrat SVP, Wettswil