Antirassismus-Strafnorm – Vor Tische las man’s anders

„Wenn das freie Denken eingeschränkt wird, geht die Demokratie zu Bruch. Ohne Freiheit gibt es keine Wahrheit. Und ohne Wahrheit keine Wissenschaft. Die Wissenschaft ist das schönste Denkmal der Freiheit.“ Jeanne Hersch (1910 – 2000), Genfer Philosophin

Seit 1994 kennt die Schweiz ein Gesinnungsstrafrecht. Wer damals den Beteuerungen des Bundesrates, es gehe nur um die Bekämpfung übelster rassistischer Auswüchse, Glauben schenkte, reibt sich heute die Augen. Wurden wir belogen oder bloss getäuscht? Nicht einmal der „Vater“ der Antirassismus-Strafnorm, alt Bundesrat Arnold Koller, stellt noch in Abrede, dass bei ihrer Umsetzung weit über das Ziel hinausgeschossen wurde.

Es war einer der widerlichsten Abstimmungskämpfe in der Geschichte der Eidgenossenschaft. Wohl nur zu vergleichen mit den gehässigen Auseinandersetzungen in den Zeiten des Kulturkampfes. Man gehörte entweder zu den Guten oder zu den Bösen, Verdammenswerten. Dazwischen gab es nichts. Es herrschte ein Meinungsterror, dem auch die Regierung des Kantons Zürichs nicht standzuhalten vermochte. Lehnte diese die Einführung der Antirassismus-Strafnorm in der Vernehmlassung noch mit dem Argument ab, das Gesinnungsstrafrecht sei in der Schweiz bisher „immer als totalitären Staaten eigentümlich verurteilt und abgelehnt“ worden, kippte sie in der Beantwortung einer Anfrage auf die Seite der Befürworter. Grund dafür war der Lausbubentrick eines Mannes, der heute im Bundesrat sitzt [Moritz Leuenberger] und behauptet, die Sozialdemokraten seine, weil so lieb, die einzig wahren Christen.

1994 war in politischer Hinsicht ein bewegtes Jahr. Das Nein zum EWR war noch nicht verdaut, und schon hatte der Souverän unter anderem über die Einführung der LSVA, die Alpeninitiative, Uno-Blauhelme, erleichterte Einbürgerungen, das neue Krankenversicherungsgesetz sowie über die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht zu befinden. Die SVP räumte der Vorlage über die Antirassismus-Strafnorm darum keine Priorität ein. Man erkannte zwar die Probleme und gab dem heutigen Generalsekretär Gregor A. Rutz Gelegenheit, anlässlich der Albisgüetli-Tagung ein kritisches Referat zu halten, rang sich am Ende aber doch zu einer Ja-Parole durch, weil die Strafnorm im Vergleich zum verabscheuungswürdigen Rassismus das „kleinere Übel“ darstelle.

Politisieren anstatt das Recht zu pflegen

Man glaubte den Beteuerungen, es gehe um die Bekämpfung von Auswüchsen, während die Meinungsäusserungsfreiheit gewahrt bleibe. Arnold Koller trat Befürchtungen entgegen und versicherte, dass der Stammtisch vom Zugriff des Strafrichters verschont bleibe. Als wäre es nicht schon absurd genug, dass für ein Gesetz vor allem damit geworben wird, dass es an bestimmten Orten nicht gilt, ist Kollers Versprechen vollends zu Makulatur geworden, was er selbst zugibt. Das Bundesgericht, das sich sonst gerne der Beachtung der „Materialien“ rühmt, hat sich dem Lager der politisch korrekten Gutmenschen angeschlossen. Politik macht den Lausanner Richtern offenbar mehr Spass als die Rechtspflege.

Die Antirassismus-Strafnorm und vor allem auch die vom Hohepriester der politischen Korrektheit, Georg Kreis, geleitete Antirassismuskommission sind längst zu Instrumenten der Machtpolitik verkommen, soweit sie nicht bereits als solche konzipiert wurden. Die Befürchtungen der Gegner der Vorlage haben sich bestätigt. Eine freche Karikatur, ein polemischer Leserbrief, ein aussagekräftiges Abstimmungsplakat, eine Aussage auf einem Podium oder – immer beliebter – eine verweigerte Einbürgerung und sofort findet sich ein Kläger, womit es bis zum Richter nicht mehr weit ist. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, wie häufig es letztlich zu Verurteilungen kommt. Tatsache bleibt, dass sich der Staat das Recht herausnimmt, über die Zulässigkeit bestimmter Meinungen und Behauptungen zu urteilen. So kann beispielsweise nur ein Schwachsinniger behaupten, der Holokaust an den Juden oder der Völkermord an den Armeniern, der Hitler sogar ausdrücklich als Vorbild diente, habe nicht stattgefunden. Doch da schwachsinnig zu sein, keinen Straftatbestand, sondern höchstens einen Fall für den Arzt darstellt, ist eine strafrechtliche Verurteilung nicht zu rechtfertigen – es sei denn aus politischen Gründen. Und wenigstens aus den Gerichtssälen soll sich die Politik heraushalten.

Zur Überwindung des unvermeidbaren Abgrenzungskonflikts wurde auch schon vorgeschlagen, eine Liste ins Strafgesetz aufzunehmen, wo sich dann jedermann selbst kundig machen könnte, welcher Völkermord geleugnet werden darf und welcher nicht. Auch das wäre absurd und zeigt, wie Recht die Gegner der Antirassismus-Strafnorm hatten, als sie kritisierten, die Bestimmung sei kontraproduktiv, weil die zwingend nötige Abgrenzung es mit sich bringt, dass gewisse Aussagen auch gutgeheissen, also staatlich sanktioniert werden, während sie eigentlich von der Gesellschaft zu ächten wären. Das Strafrecht erweist sich in diesen Fragen ganz einfach als völlig untauglich. Zumal es die Gesellschaft letztlich nicht von der Aufgabe zu entbinden vermag, selbst darüber zu befinden, wo die Grenzen des Zulässigen zu ziehen sind.

Notwendige Debatte

Bundesrat Christoph Blocher, seinerzeit Befürworter der Antirassismus-Strafnorm, stellte kürzlich fest, dass es in einem freiheitlichen Land nicht Sinn eines Gesetzes sein könne, einen Professor für im Rahmen seiner Arbeit gemachten Thesen und Aussagen zu belangen. Es wirkte ziemlich befremdend, dass ausgerechnet ein Professor, der bereits erwähnte Georg Kreis, in der Fernsehsendung Arena dieser Auffassung widersprach und bestimmte Auffassungen als nicht wissenschaftlich – und damit nicht schützenswert – qualifizierte. Die Frage, ob es Aufgabe der Gerichte sei, darüber zu befinden, ob etwas wissenschaftlich ist oder nicht, kam dem Basler Professor nicht einmal in den Sinn. Um als guter Mensch dazustehen, ist er offensichtlich ohne zu zögern bereit, die akademische Freiheit zu opfern. Wieso braucht jemand die Hilfe des Strafrechts, wenn er über die besseren Argumente verfügt?

Es geht Herrn Kreis nicht um Wissenschaft. Er will Zensuren verteilen, sich in der Arena als Experte aufspielen – und Geld verdienen. Was Letzteres angeht, greift er durchaus zu fragwürdigen Methoden, etwa wenn er, der Soziologe Kurt Imhof und der Politologe Hanspeter Kriesi sich gegenseitig Aufträge des Nationalfonds zuschanzen. Nach Weltwoche 39/06 handelt es sich dabei um eine „exemplarische Illustration des verfilzten Vergabesystems“. Ginge es Kreis um wissenschaftliche Redlichkeit, so müsste er zumindest empirisch nachweisen, dass die Antirassismus-Strafnorm und die von ihm präsidierte Kommission Erfolg haben. Rassismus und Fremdenfeindlichkeit müssten also zurückgehen. Doch genau das stellt Kreis in Abrede. Ob aufgrund von Fakten oder aus finanziellem Interesse bleibe dahingestellt.

Mit totalitären Methoden für die Freiheit?

Es ist paradox, dass ausgerechnet mit Methoden, die einen totalitären Staat auszeichnen, wie Zensur oder das Verbot, Nachrichten des Feindes zu empfangen, versucht wird, den Rechtsstaat zu schützen. Wenn der Staat versucht, mit dem Strafrecht korrigierend in die freie Meinungsbildung einzugreifen, handelt er totalitär, auch wenn er dabei die hehrsten Absichten verfolgt.

Heinrich Heine war visionär, als er 1820 schrieb, „Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Man braucht hingegen kein Visionär zu sein, um zu begreifen, dass das Bestrafen einer Meinung und das Verbieten von Büchern deren Verbrennung zumindest sehr nahe kommt.

[2007]