Stellen Sie sich vor, es würde verboten, sich scheiden zu lassen. Unmittelbare Folge wäre mit Sicherheit ein dramatischer Rückgang an neuen Eheschliessungen. Dies, obwohl niemand mit dem Ziel heiratet, sich scheiden zu lassen. Es ist immer gut, Optionen zu haben, denn Verhältnisse können sich ändern, und dann muss es auch möglich sein, bestehende Bindungen und Verträge anzupassen oder aufzuheben.
Das Schweizerische Zivilgesetzbuch (ZGB) postuliert sogar einen speziellen Schutz vor «übermässiger Bindung». Danach ist ein Vertragsverhältnis anfechtbar oder sogar nichtig, wenn eine Vertragspartei eine Bindung eingeht, in der Leistung und Gegenleistung in einem krassen Missverhältnis zueinander stehen.
Lehrbuchfall ist der, dass sich jemand als Sklave verkaufen will. Wenn Sie der Gegenpartei vertraglich und einseitig das Recht einräumen würden, bisher geschlossene und gültige Verträge nach Belieben zu ändern oder zu kündigen, würde der Staat einschreiten. Wenn Sie sich als Privatperson so verhielten, wie Bundesrat und das Bundesgericht, die selbst – von Volk und Ständen gesetztes – Verfassungsrecht gegenüber dem so genannten Völkerrecht generell für nachrangig erklären, wären Sie ein Fall für die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb).
Wer einen Vertrag eingeht, ist daran gebunden. Verträge sind einzuhalten! Das gilt auch für Staaten. Doch wer einen Vertrag eingeht, verzichtet nicht auf alle Zeit auf das Recht, einen Sachverhalt anders zu beurteilen, und darum eine Änderung des Vertrags zu verlangen oder diesen gar zu kündigen, wenn keine gütliche Einigung gefunden werden sollte. So halten es sämtliche Staaten. Auch in Deutschland, dem EU-freundlichsten aller EU-Mitgliedsländer, stellte das Verfassungsgericht gerade kürzlich klar, dass es spätere Gesetzgeber Rechtsetzungsakte und Staatsverträge früherer Gesetzgeber revidieren können. Eine Selbstverständlichkeit!
Die Schweiz wird als treuer Vertragspartner weltweit geschätzt. Ihre Vertragstreue steht ausser Zweifel und gereicht ihr zur Ehre.
Als souveräner Staat müssen wir jedoch auf unserem Recht beharren, weiterhin eigene Wege beschreiten zu können, wenn wir das für richtig erachten. Wir handeln schliesslich nicht wie Hooligans, sondern wie eine Gemeinschaft urteilsfähiger und mündiger Menschen, die über Generationen hinweg bewiesen hat, dass sie in der Lage ist, kluge Entscheide zu fällen, die den Frieden sicherten und Wohlstand brachten.
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Erschienen im „Zürcher Oberländer“ vom 17. Oktober 2018