Es lebe der Kapitalismus!

Der Kapitalismus soll tot sein? Mumpitz! Niemand käme auf die Idee, die Gravitation wegen Versagens für tot zu erklären, weil hin und wieder ein Flugzeug abstürzt. Wenn Banken oder Staaten pleite gehen, ist das nicht die Schuld des Kapitalismus, sondern jene der betreffenden Banken und Staaten. Es zeichnet den Kapitalismus sogar aus, dass er Fehlleistungen aufzeigt und schonungslos bestraft – wenn auch manchmal mit grosser Verzögerung. Kapitalismus ist ein Zustand. Wie das Wetter. Man mag sich darüber freuen oder ärgern. Es bringt nichts, dagegen zu sein. Man hat sich damit abzufinden. Er entspricht der Natur des Menschen.

Nichts in der Geschichte der Menschheit war desaströser und kostete mehr Menschenleben als der Versuch, den Kapitalismus zu überwinden. Diese Tatsache hindert unsere hiesigen Genossinnen und Genossen allerdings nicht daran, auch in ihrem neusten Parteiprogramm genau das zu fordern. Immerhin erklärten sie das Anliegen mittlerweile nur noch zu einem „Fernziel“. Denn auch sie wissen, dass der Sozialstaat bereits nach kurzer Zeit die Bilanz deponieren müsste, sollten sie ihr „Fernziel“ erreichen. Selbst wenn es wahr sein sollte, dass der Kapitalismus am Abgrund steht. So ist immerhin festzuhalten, dass der Sozialismus in dieser Hinsicht ein Schritt weiter ist. Schauen Sie nur auf die aktuelle Schuldenkrise in Europa: Schulden sind nicht Ausdruck eines überbordenden Kapitalismus, sondern das was vom Sozialismus zurück bleibt. Je sozialistischer ein Land über Jahrzehnte hinweg – egal von welcher Partei – geführt wurde, umso schlechter steht es heute da. Allen voran Griechenland, dessen Politiker es als ihre wichtigste Aufgabe betrachteten, das stetig wachsende Heer der Beamten zu hätscheln. Nichts, von dem was der VPOD hierzulande bloss fordert, blieb dort unerfüllt.

Worin soll das angebliche Versagen des Kapitalismus denn eigentlich bestehen? Haben heute nicht mehr Menschen als je zuvor in der Geschichte Zugang zu Nahrung und Bildung? Hat die Menschheit im Kampf gegen Krankheiten und Armut etwa nicht gewaltige Fortschritte gemacht? Woher kommt also dieser Ruf nach mehr Reglementierung und staatlicher Kontrolle über unser Leben? Gerechtfertigt ist dieses Vertrauen in den Staat jedenfalls nicht. Wären Moritz Leuenberger und seine Beamten seinerzeit ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Kontrollaufgabe nachgekommen, hätten wir heute noch eine Swissair. Auch gab es schon lange vor der, durch eine verfehlte staatliche Wohneigentumsförderungs- und Bodenpolitik verursachten, Subprime-Krise eine staatliche Bankenaufsicht. Dass diese komplett versagt hat, steht ausser Frage. Oder wie steht es um die – angeblich bessere weil staatliche – Aufsicht über die Ölbohrungen vor der US-Küste? Die Kontrollen liefen nicht nur wie geschmiert, die behördlichen Kontrolleure waren tatsächlich geschmiert. Jede Vorschrift zu mehr staatlicher Kontrolle birgt in sich den Samen der Korruption. Gewonnen ist so nichts.

Die Vorteile des Kapitalismus überwiegen seine Nachteile bei weitem. Wenn etwas der Menschheit Fortschritt und Wohlstand gebracht hat, dann ist das der Schutz des privaten Eigentums – durch den Staat. Das ist die Basis des Kapitalismus: Das Recht, sein Vermögen zu mehren, und sein Eigentum gegen Dritte zu verteidigen, ist Grundlage jeglichen wirtschaftlichen Fortschritts. Doch zu diesem Recht gehört die Pflicht, Verantwortung zu tragen. Denn nur wer weiss, dass er zur Verantwortung gezogen werden kann und wird, handelt verantwortlich. Und genau hier liegt das Problem, mit dem wir gegenwärtig zu kämpfen haben. Warum hätten sich die UBS-Banker verantwortungsbewusst verhalten sollen? Sie wussten, dass sie zu gross sind, um fallengelassen zu werden, wie es – den Regeln des Kapitalismus folgend – eigentlich richtig gewesen wäre. Sie wussten: Geht’s gut, gibt’s Boni. Geht’s schlecht, gibt’s die Eidgenossenschaft – und die Boni. Zumindest in dieser Hinsicht war ihre Lagebeurteilung absolut richtig. Warum soll ein staatlicher Kontrolleur seiner Aufsichtspflicht gewissenhaft nachkommen, wenn er weiss, dass die Qualität seiner Arbeit keinen Einfluss auf sein Gehalt hat? Warum sollen Beamte besonders gewissenhafte Menschen sein, nachdem man sie mit Aufhebung der persönlichen Beamtenhaftpflicht bewusst aus der Verantwortung entlassen hat? Wenn Verantwortung nicht wahr genommen werden muss, kann Kapitalismus nicht funktionieren. Ergo müssen Entscheidungskompetenz und Haftung, bzw. Verantwortung wieder zusammengeführt werden. Das ist alles, was es braucht für den Beweis, dass Totgesagte länger leben.
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Erschienen in der Berner Zeitung vom 29. Mai 2010.