Die Sache mit dem Völkerrecht

„Libyen hat Max Göldi völkerrechtswidrig entführt“, beklagte sich unsere wackere Aussenministerin Micheline Calmy-Rey kürzlich voller Empörung. Wirklich? Welch ein Schlag für Ghadhafis Regime! Glaubte der Diktator doch bisher gewiss selber, dass sich Göldi freiwillig in die Obhut seiner Gefängniswärter begeben hatte. Und nicht etwa, um der angedrohten – völkerrechtswidrigen – Stürmung der Botschaft zuvorzukommen. Schliesslich ist Gastfreundschaft in Beduinenkreisen heilig, und eine nüchterne Zelle der Opulenz einer Schweizer Botschaft allemal vorzuziehen.

Mag man das Völkerrecht im Elfenbeinturm zu Bern auch für sakrosankt halten, auf dessen Altar man sogar die Demokratie zu opfern bereit ist. Potentaten wie Ghadhafi, an deren Händen das Blut Hunderter unschuldiger Opfer klebt, kümmert das wenig. Sie haben ein viel ungezwungeneres Verhältnis zum Völkerrecht. Sie berufen sich allenfalls dann darauf, wenn sie sich davon Schutz versprechen. Etwa, wenn sie im Ausland ihre Angestellten misshandeln und deswegen von den zuständigen Behörden nicht behelligt werden möchten. Ansonsten überlässt man das Völkerrecht gerne der Schweiz – und behält dafür Göldi.

Frau Calmy-Rey weiss nicht nur, was völkerrechtswidrig ist. Sie weiss auch, was völkerrechtskonform ist: Zum Beispiel das Erstellen einer schwarzen Liste unwillkommener libyscher Staatsangehöriger. Doch nur weil die – offizielle – Schweiz bereits einknickt, wenn die OECD – völkerrechtswidrig – mit einer grauen Liste herumfuchtelt, heisst dass noch lange nicht, dass auch der „verrückter Hund des mittleren Ostens“, wie Ronald Reagan den libyschen Putschistenführer einst nannte, wegen einer EDA-Liste ins Wanken gerät. Im Gegenteil, er macht sich über Frau Calmy-Rey lustig und ruft dazu auf, sie mitsamt ihrem Völkerrecht im Genfersee zu versenken.

Was die Souveränität des Nationalstaats ausmacht, nämlich darüber bestimmen zu können, wer sich auf dem eigenen Territorium aufhalten darf, ist mit „Schengen“ zu einer Angelegenheit des Völkerrechts geworden. Gleichsam zu einer Kolchose, in der angeblich „Sicherheit“ produziert wird. Zwar haben sich die Schengen-Staaten das Recht ausbedungen, auch weiterhin unwillkommenen Personen die Einreise zu verbieten, doch haben sich dem – wie in jedem kollektivistischen System – alle anzuschliessen. Und wie im real erprobten Sozialismus funktioniert das genau so lange, wie alle begeistert mitmachen. Im aktuellen Fall hat die Begeisterung allerdings rasch nachgelassen, und das EDA hat seine Liste kassiert – so freiwillig, wie sich Göldi ins Gefängnis begeben hat. Gleichzeitig liess man uns wissen, dass unsere beiden „Guantanamo-Uiguren“ trotz B-Bewilligung und Ausländerpass ein Schengen-Visum beantragen müssen, falls sie je ennet dem Rhein eine Cola trinken möchten.

Egal, ob Frau Calmy-Rey Völkerrechtswidrigkeit oder -konformität behauptet. Am Ende steht sie als Verliererin da. Damit sind wir bei einem Grundproblem des Völkerrechts angelangt: Bei der Frage nach seiner Durchsetzbarkeit. In aller Regel gewinnt der Stärkere. Völkerrecht hin oder her. Höchste Zeit, dass man im EDA zur Kenntnis nimmt, dass nicht nur offene Kriege asymmetrisch geführt werden. Auch in Wirtschaftskriegen und sogar in der diplomatischen Auseinandersetzung geht es in höchstem Masse „unfair“ zu und her.

Selbstverständlich ist der Versuch, Staaten mittels Verträgen und Konventionen zu einem zivilisierten Verhalten untereinander zu bewegen, lobenswert. Mit Autorität auf die Einhaltung dieser Regeln pochen, kann ein kleines Land allerdings nur, wenn es selber glaubwürdig ist. Wer jedoch ein sprunghaftes Verhältnis zur Neutralität pflegt, ständig improvisiert und die Stärken des eigenen Landes, weil angeblich nicht mehr zeitgemäss, mit Füssen tritt, wie Frau Calmy-Rey, darf sich nicht wundern, wenn er zum Spielball der Mächtigen wird. Plötzlich sind nur noch die anderen „aktiv“. Völkerrecht hin oder her.

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Erschienen in der Berner Zeitung vom 3. April 2010

2 Gedanken zu „Die Sache mit dem Völkerrecht“

  1. Weil es keine europ. Schengensolidarität gibt und die EU andere Prioritäten hat als den Schengenvertrag zu befolgen, musste die Schweiz die Visabeschränkungen zurücknehmen. BRin Calmy bezeichnete das als positiv, da nun die EU weiter hinter der Schweiz stehe. Der bedauerliche Max Göldi ist derweil noch immer in Geiselhaft, Lybien ist Mitglied des UN-Menschenrechtsrats (Kommentar überflüssig) und Ghadhafi war Vorsitzender der UN-Vollversammlung (Kommentar noch überflüssiger). Derweil kritisiert der von BRin Calmy so geliebte UN Menschenrechtsrat die Schweiz wegen der Minarettabstimmung und verliert kein Wort zu den Christenverfolgungen in afrikanischen und Nahost-Ländern. Die Verlogenheit dieser UN-Institutionen lässt einem staunen.

  2. Mit erstaunen und Freude erlese ich in vielen Statements zanettis genau das, was sich niemand getraut zu sagen, obwohl es alle Wissen … Und feige schweigen! STS,M.

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