Was ist schon fair?

Es ertönt wieder einmal der Ruf nach Fairness. Ein bürgerliches Komitee fordert „faire Renten“ und will uns so die Senkung des Umwandlungssatzes für die Berechnung unserer Renten schmackhaft machen. Sind also tiefe Renten faire Renten? Oder sind Renten dann fair, wenn sie langfristig sicher sind? Und warum soll es bei Bananen umgekehrt sein? Warum gilt deren Preis dann als fair, wenn er höher als üblich ist? Ist nicht das fair, worauf sich zwei Parteien im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte einigen? Wie dem auch sei, angesichts der inflationären Verwendung der Begriffe „Fairness“ und „fair“ soll an dieser Stelle, einmal der Frage nachgegangen werden, ob diese Kampfbegriffe überhaupt ins Vokabular seriöser Politiker gehören.

Angenommen, ich müsste ein Wettrennen gegen Usain Bolt bestreiten. Wer um meine sportlichen Qualitäten weiss, ist bestimmt damit einverstanden, dass mir der Olympiasieger und Weltrekordhalter aus Jamaika der Fairness halber einen (grossen) Vorsprung einräumen müsste, damit wir die Ziellinie zumindest annähernd gleichzeitig überqueren würden. Es kann also sein, dass wir für faire Bedingungen, oder dem, was wir dafür halten, ganz bewusst Ungleichbehandlungen in Kauf nehmen, ja diese sogar schaffen.

Am lautesten wird Fairness von den Sozialdemokraten und ihren Verbündeten eingefordert. Sie sprechen allerdings auch synonym von (sozialer) Gerechtigkeit, wobei unter diesem Stichwort so ziemlich gegen jede Ungleichheit zu Felde ziehen. Wenn einer mehr verdient als der andere, so interpretieren sie dies reflexartig als Ungerechtigkeit und nicht etwa als Resultat unterschiedlichen Handlungsgeschicks, unterschiedlicher Ausbildung oder Leistung. Ausserordentliche Leistung ist ihnen ohnehin zuwider. Als Mittel dagegen haben sie eigens progressiv ansteigende Einkommenssteuern erfunden, was im Grunde eine Lenkungsabgabe gegen Arbeit ist. Ist das fair? Und ist das klug?

In Ihrem Kreuzzug gegen das Unrecht dieser Welt ersetzen die Sozis in der Regel altes Unrecht durch neues Unrecht. Zum Beispiel in der Schule, wo sie die schwachen Schüler durch die „Bildungsfernen“ ersetzten. Ein unsäglicher Begriff, der klar machen soll, dass lediglich widrige äussere Umstände für die schlechten Noten verantwortlich sind. Da hilft natürlich alles Lernen nichts, nur noch staatlicher Geldsegen, und, als hätte jemals ein gesunder Apfel einen kranken angesteckt, werden die schwachen Schüler in Klassen gesteckt, in die sie von ihren Fähigkeiten her ganz einfach nicht gehören. Und kein Genosse stört sich daran, dass diese Zwangsintegration gegenüber dem starken und leistungswilligen Schüler im höchsten Masse unfair ist. Empörung wird erst dann wieder laut, wenn sich zeigt, dass „bildungsnahe“ Eltern ihren Kindern, bei den Hausaufgaben helfen oder sogar Nachhilfestunden finanzieren. Das sei unfair heisst es dann aus der linken Ecke, denn schliesslich seien bildungsferne Eltern insbesondere wegen ihres „Migrationshintergrunds“ dazu nicht in der Lage. Und zur Abhilfe wird – ganz im Sinne radikaler sozialistischer Gleichmacherei – die Abschaffung der Hausaufgaben empfohlen. Dass die Umsetzung dieses Vorschlags ausnahmsweise nichts kosten würde, vermag allerdings nicht darüber hinwegzutäuschen, dass das Bildungsniveau dadurch noch tiefer sinken würde.

Jemand sollte den Genossinnen und Genossen sagen, dass die Welt, ja die Natur, nicht fair ist. Das gilt es, so zu akzeptieren. Es gibt nun einmal Ungerechtigkeiten, die nicht der Gesellschaft angelastet werden können, und die sich nicht durch Umverteilen von Geld beseitigen lassen. Die Menschen sind nun einmal unterschiedlich gescheit, unterschiedlich stark, unterschiedlich alt, unterschiedlich schön und unterschiedlich sympathisch. Und das ist gut so. Daran kann zum Glück auch die Politik nichts ändern.

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Erschienen in der Berner Zeitung vom 6. März 2010

Ein Gedanke zu „Was ist schon fair?“

  1. Sie finden es also als gut, wenn Sie die billigeren Bananen kaufen, auch wenn dabei Kleinbauern drauf gehen. Und Sie fahren wohl zum Einkauf über die Grenze, weil dort einige Lebensmittel billiger sind. Man sollte halt mal auch über die eigene Nasenspitze hinaus denken. Wohin der von Ihnen propagierte Raubtierkapitalismus führt, hat sich bei der letzten Krise deutlich gezeigt. Oder finden Sie die überrissenen Banker-Boni auch gut?

    „Bauern brauchen einen fairen Milchpreis“: Dieses Plakat mit dem SVP-Logo sieht man überall. Aber das ist wohl etwas genz anderes, nicht?

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